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Blog: Lieferketten

Kein Industrieland der Welt ist so in internationale Lieferketten eingebunden wie Deutschland. Viele unserer Industrien benötigen Vorarbeiten aus anderen Ländern. Für die deutsche Lebensmittelindustrie sind das beispielsweise 37% aller Produkte. Weiterhin stammen einige unserer alltäglichen Konsumgüter aus dem globalen Süden. Unser Wohlstand und die wirtschaftlichen Entwicklungschancen von weniger wohlhabenden Ländern sind durch diese Lieferketten demnach unmittelbar miteinander verbunden. Da es vor Ort oft keine hinreichenden Regulierungen bezüglich Arbeitsbedingungen, Umweltstandards und fairen Löhnen gibt, haben wir als wohlhabender Staat, der dortige Güter konsumiert und weiterverarbeitet, eine Verantwortung dafür wie in diesen Ländern produziert wird. In Kenia entspringt etwa die Hälfte der Exportgüter der Landwirtschaft. Exportschlager sind dabei vor allem Kaffee, Tee und Sisal – eine Naturfaser des Agavenbaumes, die für unter anderem für Seile benutz wird. Aber auch Bohnen, Erdnüsse, Zuckerrohr, Ananas und Tabak gehören zu den viel exportierten Waren.

Die Deutschen Lieben ihren Kaffee. Laut Deutschem Kaffeeverband trinken wir sogar mehr Kaffee als Mineralwasser. Deshalb sollen hier am Beispiel des Kaffees die oftmals schlechten Arbeitsbedingungen in der kenianischen Landwirtschaft illustriert werden. Der kenianische Kaffee wird oft als bester Kaffee der Welt bezeichnet. 70-80% dieses Kaffees werden an der allwöchentlichen Kaffeebörse in Nairobi auktioniert. Dort treffen Kaffeebäuer*innen und Abnehmer*innen aufeinander. Die Kaffees werden verkostet und danach kann darauf geboten werden. Die restlichen 20-30% werden direkt an Importeur*innen oder Mühlen/ Röstereien verkauft. Die Börse ist ein sehr transparenter Markt, da sowohl Verkaufende als auch Kaufende sich der Preise bewusst sind. Im Endeffekt kostet ein Kilo kenianischen Kaffees in Deutschland allerdings bis zu 20 Euro und die Bäuer*innen erhalten davon nur wenige Cent. Das große Geld verdienen andere: nämlich die Großkonzerne, die beim Kaffeekauf an der Börse Nairobis um jeden Cent feilschen - Firmen wie Nestlé, Tchibo oder Darboven. Aber auch aufgrund korrupter Vermarkter*innen oder Mühlenbetreiber*innen innerhalb Kenias bleibt einiges auf der Strecke.

Die Bemühungen diese und andere Missstände durch Marktmechanismen, wie das Anbieten von zertifiziertem Fairtrade Kaffee zu lösen ist unterm Strich gescheitert. Der gemeinnützige Verein „Transfair“, der seit über 20 Jahren die Fairtrade Zertifizierung vergibt, zahlt nämlich kaum mehr als konventionelle Händler*innen am freien Markt. Zwar sorgt Transfair für kürzere Lieferketten und hilft sozio-ökologische Standards umzusetzen, wie das Verbot von Kinderarbeit, jedoch hilft das noch nicht gegen die Armut der Kaffeebäuer*innen. Der Minimalpreis den Transfair zahlt lag schon unter dem Weltmarktpreis, womit er defacto nutzlos ist. Außerdem richtet auch Transfair sich nach der globalen Nachfrage und gibt daher keine Abnahmegarantie. Die Bäuer*innen haben somit kein gesichertes Einkommen. Abgesehen von den bestehenden Missständen hat Fairtrade-Kaffee oft sogar eher geringere Qualität als nicht-zertifizierter. Das liegt daran, dass es sich für die Anbauenden rentiert ihre guten Bohnen am freien Markt zu veräußern, während die minderwertigen Bohnen von Transfair abgenommen werden.


Zusätzlich zur miserablen Bezahlung, sind auch die Arbeitsbedingungen auf Kenias Kaffeeplantagen untragbar. Stand 2010 waren ganze 60% der kenianischen Kaffeearbeiter*innen Kinder. Und diese entwickeln nachgewiesener Weise mehr Infektionskrankheiten wie Malaria, Grippe oder Lungenentzündungen. Durch den ungeschützten Kontakt mit Pestiziden, Fungiziden und verseuchtem Wasser steigt weiterhin die Wahrscheinlichkeit für weitere Krankheiten wie Krebs oder Parkinson.


Neben der Tatsache, dass Zertifizierungen diese Probleme bis heute nicht lösen konnte, sollte die Bekämpfung eben dieser auch nicht auf Freiwilligkeit basieren bzw. an den Konsumenten ausgelagert werden. Hier braucht es verbindliche Regulierungen, die an jeder Station der Lieferkette für angemessene Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen und die Einhaltung sozialökologischer Standards sorgen. Gerade Lebensmittellieferketten sind oft lange und undurchsichtig, was die Gefahr von unentdeckten Menschenrechtsverletzungen erhöht. Weiterhin müssen die Produkte für alle bezahlbar bleiben, weshalb Regierung, Zivilgesellschaft, Landwirte und Unternehmen in einem Spannungsfeld zwischen stabiler und günstiger Versorgung auf der einen und der Sorgfaltspflicht auf der anderen Seite stehen.

Ein Ansatz eines solchen Regulationsinstruments ist das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Nachdem die Vereinten Nationen 2011 in den „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechten“ eine staatliche Schutzpflicht und unternehmerische Verantwortung verankerte, verabschiedete die deutsche Bundesregierung im Jahre 2016 den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte, der auf Freiwilligkeit basierte. Aufgrund der Freiwilligkeit erfüllten zu wenige Unternehmen die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht, woraufhin im Juni diesen Jahres nun endlich eine gesetzliche Regelung beschlossen wurde. Das Gesetz hat das Ziel den Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten zu verbessern, nicht etwa deutsche Sozialstandards weltweit durchzusetzen. Unternehmen haben nun eine Sorgfaltspflicht zum Schutz der Menschenrechte in der gesamten Lieferkette. Beispielsweise dürfen Zwangs- oder Kinderarbeit nicht geduldet werden. Bei unmittelbaren Zulieferfirmen müssen Unternehmen dabei proaktiv tätig werden, bei mittelbaren nur bei klaren Hinweisen zu Verletzungen von Menschenrechten. Bei Zuwiderhandeln kann die externe Prüfbehörde – das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – Bußgelder verhängen. Betroffene können Menschenrechtsverletzungen nun auch vor deutschen Gerichten, allerdings nach ausländischem Recht einklagen. Die Regelungen sollen ab 2023 für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiter*innen und ab 2024 für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter*innen gelten. Stand jetzt befolgen nur etwa 20% der deutschen Unternehmen die unternehmerische Sorgfaltspflicht.

Obwohl das Lieferkettengesetz definitiv ein Schritt in Richtung der Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, denen sich Zukunftswaisend ebenfalls verschrieben hat, darstellt, gibt es dennoch einige Kritikpunkte. Zum einen gilt das Gesetz nur für Unternehmen ab einer bestimmten Angestelltenzahl und kommt daher nicht flächendecken zum Einsatz. Weiterhin müssen Betroffene nach ausländischem Recht vor deutschen Gerichten klagen, was die Erfolgswahrscheinlichkeit solcher Klagen deutlich verringert. Außerdem werden lediglich Menschenrechte miteinbezogen, weshalb der Umweltschutz in den Lieferketten wohl vernachlässigt werden wird. Zuletzt ist die Abstufung in mittelbare und unmittelbare Zuliefernde zu kritisieren. Die Sorgfaltspflicht von Unternehmen geht damit lediglich ein Kettenglied lang. Gehandelt werden muss in Fällen von Menschenrechtsverletzungen durch mittelbare Zuliefernde nur bei „klaren Hinweisen“, was ein sehr weit auslegbarer Begriff ist. Die aus Menschenrechts- und Umweltorganisationen bestehende „Initiative Lieferkettengesetz“ nennt den aktuellen Gesetzesentwurf daher einen „Anreiz zum Wegschauen“. Unternehmen wurden somit genug Schlupflöcher gelassen, um ihre Menschenrechtswidrigen Praktiken fortzuführen. Zu hoffen bleibt, dass die europäische Variante des Lieferkettengesetzes, an der schon gearbeitet wird, strenger und flächendeckender ausfällt.



https://www.galileo.tv/life/lieferkettengesetz-fairer-handel-pro-contra-kritik/

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